Musik: Spiegelbild der pluralen und toleranten Einstellung

  Klaus von Bismarck liebte Musik. Doch sie war für ihn weit mehr als eine Kunst, die dem Genuss dient. Sie besaß für ihn auch eine pädagogische, verbindende und viele weitere Impulse gebende Dimension. Als Intendant des WDR nutzte er Musik als soziales und politisches Instrument, um in der Gesellschaft gegenseitige Toleranz zu fördern und um für Verständigung mit den östlichen Nachbarn zu werben. Seine Offenheit für verschiedene Musikrichtungen bereicherte ihn persönlich, bestimmte Lieder wurden ihm nach eigener Aussage zu Klangbildern für wertvolle Prägungen, Einsichten und Erfahrungen. Schon das Elternhaus öffnete Klaus von Bismarck die Tür zur Musik. Besonders Mutter Gertrud und Großmutter Anna Koehn trugen zu einer reichhaltigen Musikkultur auf Kniephof bei. Die Bezüge der Mutter zur bürgerlichen Berliner Musikszene und das Klavierspiel der Großmutter sorgten dabei für eine Orientierung an Qualität und für eine gewisse Vielfalt. So wurde Klaus von Bismarck früh vertraut mit klassischer und Kirchenmusik, später kamen neue Richtungen wie Jazz hinzu. Im jungen Klaus von Bismarck weckten die heimischen Erfahrungen mit Musik das Bedürfnis zum eigenen Cello-Spiel, das aber nicht sehr weit gedieh. Die tröstende, befreiende und stimulierende Wirkung von Musik erlebte er anschließend in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: Unter anderem dankbar-besinnlich bei Weihnachtsfeiern im und kurz nach dem Krieg, ideologische Grenzen überwinden helfend während der Jugendhofarbeit in Vlotho und kraftvoll die Gemeinschaft fördernd auf Kirchentagen. Als Intendant des WDR avancierte er dann zum engagierten Förderer von Musik. Die Kölner Senderanstalt machte ihm dies leicht, da sie bei von Bismarcks Amtsantritt 1961 nicht nur mit einem breiten Programmangebot im Bereich Musik aufwartete, sondern sich zudem auf dem Gebiet der Neuen Musik internationale Anerkennung erworben hatte. Bereits 1951 waren das weltweit erste Studio für Elektronische Musik einer Rundfunkanstalt gegründet und die Reihe „Musik der Zeit“ eingeführt worden. Dies ließ den WDR nach 1945 zu einem frühen Förderer avantgardistischer Musik unter den deutschen Rundfunkanstalten und das Rheinland zu einem international richtungsweisenden Zentrum für solche zeitgenössische Musik werden. Als Intendant trug Klaus von Bismarck bewusst zum Ausbau des gewonnenen Images bei und setzte es für politische Zwecke ein, speziell für die von ihm an vielen weiteren Stellen unterstützte deutsch-polnische Verständigung. Unter seiner Führung vergab der WDR „als Beitrag zur deutschen Aussöhnung mit Polen“ (Björn Gottstein in: Musik der Zeit, S. 84) einen Kompositionsauftrag an den Professor und späteren Rektor der Musikakademie Krakau, Krzysztof Penderecki. Er hatte sich kurz zuvor einen internationalen Namen in der Neuen Musik gemacht. Die Uraufführung der aus dem WDR-Auftrag resultierenden Lukas-Passion im St.-Paulus-Dom zu Münster (1966) wurde ein „Politikum und Welterfolg“ (Rainer Peters in: Musik der Zeit; S. 42). Musikalisch ist die Komposition ein Schlüsselwerk der Neuen Musik, politisch untermauerte es die Bestrebungen des Intendanten von Bismarck, beginnend mit Polen den Eisernen Vorhang durchlässiger machen zu helfen. Der Leiter der Redaktionsgruppe Neue Musik im WDR, Otto Tomek, resümierte unmittelbar vor Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grundlagenvertrages am 7. Dezember 1970: „Man kann sagen, daß wir mit Hilfe der Musik bei der Vorbereitung des deutsch-polnischen Dialoges stillschweigend und ohne große Propaganda doch wohl wirksam vorgearbeitet haben, auch zu Zeiten, wo der kalte Krieg einem ziemlich ins Gesicht blies.“ Intendant von Bismarck gehörte zur handverlesenen deutschen Delegation, die Bundeskanzler Willy Brandt zur Vertragsunterzeichnung in Warschau begleiten durfte. Auf den Geschmack des breiten Publikums traf Neue Musik jedoch nicht. „Werke von [Krzysztof] Penderecki, [Karlheinz] Stockhausen, [Mauricio] Kagel und [Bernd Alois] Zimmermann, die der Westdeutsche Rundfunk z. B. nicht ohne Stolz als ‚seine‘ Musikautoren ansieht, werden auch den Hörern des allgemeinen Programms zugemutet“, beschrieb von Bismarck 1971 auf einer internationalen Hörfunk-Konferenz in Helsinki einen generellen Grundsatz seiner Rundfunkpolitik. Mit solchen „Zumutungen“ wollte er nach eigener Aussage ein breiteres Publikum für...

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Familie im Bild

v. WedemeyerRuth-AliceKlausv. Bismarck&Maria *1959 Thomas 1952 – 2017 Christian „Chrischi“ *1950 Ernst *1947 Klaus *1945 Hans 1943 – 1990 Friedrich „Frieder" *1948 Gottfried *1941 Günther 1917 – 2004Gottfried „Gorri" 1921 – 2001 Medinge von Liebrecht, geb. von Bismarck 1915 – 1975 Lianne „Anne" 1919 – 1961 Philipp 1913 – 2006 Peter 1936 – 2009 Werburg „Lala“ Doerr, geb. von Wedemeyer *1932 Christine 1929 – 2018 Hans-Werner von Wedemeyer *1927 Hans von Wedemeyer1888 – 1942Gertrud von Bismarck, geb. Koehn1890 – 1971Maria Weller, geb. von Wedemeyer 1924 – 1977 Klaus von Bismarck 1912 – 1997Ruth von Wedemeyer, geb. von Kleist-Retzow1897 – 1985Ruth-Alice von Bismarck, geb. Wedemeyer1920 – 2013Gottfried von BismarckGroßneffe des „Eisernen Kanzlers“ Otto von Bismarck 1881 – 1928Maximilian „Max“ 1922 – 1942Familie im Bild Mit einem klick auf eines der Bilder vergrößert sich das Bild und es erscheint der Name des jeweiligen Familienmitglieds. Ein weiterer klick minimiert das Bild wieder....

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Zeitzeugen: Ruth-Alice von Bismarck und der Shalom Kreis

Der Shalom Kreis ist eine private, weltoffene und interreligiöse Vereinigung. Mitbegründerin und viele Jahre lang Mittelpunkt der Initiative war Ruth-Alice von Bismarck. Weitere bedeutende Mitinitiatoren waren Prof. Dr. Herbert Jehle (1907-1983), ein Physiker, der als NS-Gegner nach seiner Emigration an mehreren Universitäten in den USA lehrte und forschte, und seine Frau Dietlinde „Dieta“ Jehle (1915-2009), geb. Freifrau von Künßberg. Beide waren engagierte Pazifisten und Quäker, die seit 1977 in München lebten. Renate Lauermann Der Kreis wurde vor allem von engagierten Menschen aus der Friedensbewegung getragen. Dazu zählten Mitglieder von Pax Christi, TeilnehmerInnen an der Menschenkette von Stuttgart / Ulm 1983 und an den Sitzblockaden in Mutlangen ab 1983, besonders jene aus der Gruppe mit dem Schriftsteller Dieter Lattmann (1926-2018), sowie Ostermarschierer. Motive des Engagements im Shalom Kreis waren persönliche Kriegserfahrungen oder um 1989 für einen friedlichen Verlauf der Demonstrationen in Leipzig und Ostberlin zu beten. Die Kraft ihrer Spiritualität Jour fixe des Shalom Kreises war donnerstags Nachmittag. Ruth-Alice von Bismarck lud zu Friedensgebet, Tee und Gespräch in ihre Wohnung in der Römerstr. 4 in München, Westschwabing, ein. (Auf dem Foto das Dreifachfenster im 1. Stock.) Es war ein heterogener Kreis unterschiedlichster Frauen, der sich in seiner Zusammensetzung mit den Jahren veränderte. Wir waren vornehmlich Frauen. Dr. Elisabeth Kickhöfer, Theologin, Renate Lauermann, Übersetzerin, Inge Ammon, Pfarrersfrau der Erlöserkirche München Schwabing und unermüdliche Friedens-Aktivistin, Marlen Lattmann, Heidi Hemmer, Freundin von Ruth-Alice aus pommerscher Zeit, Ingrid Drum, Aktivistin in urbanen Themen und Mitinitiatorin des „Römermülls“, Anna Weiß, Gertrud Scherer, Lehrerin, Ursula Edle von Hayek, Ulrike Trüstedt, Komponistin, Mareijke Köhler-Wories, Sekretärin von Ulrike Mascher (Politikerin, SPD), bildeten die sogenannte Stammgruppe. Gäste waren immer willkommen. Es gab eine Dramaturgie: Die Anliegen Nach Quäker-Art konnte jeder sein Anliegen im Kreis vortragen, unabhängig davon, ob sie persönlicher oder politischer Natur waren. Ruth-Alice von Bismarck griff dann nach ihrer Bibel, die immer bereit lag, oder nach den Herrnhuter Losungen, wählte einen Psalm aus und trug ihn vor. Ihre Stimme wurde kontinuierlich leiser. Mit geschlossenen Augen, tief in sich hineinhorchend, die Hände gefaltet, mit verschränkten Fingern, strahlte sie eine große Stille aus. In ihr sammelte sie ihre Gedanken, in die hinein sie ihr Gebet formulierte, die Anliegen mit einschließend. Aus einer tiefen Vertrauensbasis heraus kamen ihre Worte. Wesentlicher Ansprechpartner ihres Gebetes war das DU – Ihr Gebet transformierte uns und die vorgetragenen Anliegen und/oder Sorgen, sie persönlich sprach von Segen (siehe nachfolgender Text). Es waren authentische Momente. Beitrag Das Treffen wurde durch einen aktuellen Beitrag, sei er politischer, kultureller oder sozialer Art, fortgeführt. Oft verschickten TeilnehmerInnen bereits im Vorfeld Faxe mit ihren Anregungen für das kommende Treffen. Oder es gab Gastvorträge. Beispielsweise war während des jugoslawischen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren der serbisch-orthodoxe Pope aus München zu Gast. Diskussion Den Beiträgen folgte stets eine Diskussion. In lockerer Gesprächsrunde klang das Treffen aus, und wir gingen verändert nach Hause. Feste, Feiern An Epiphanias wurde Neujahr gefeiert, mit großem Christbaum, Suppe, Tee und Plätzchen. Der Kreis der Gäste war größer und vielschichtiger. Mittelpunkt der Feier war die Zeremonie der Anliegen. Nach Quäker-Art konnte jeder sein Anliegen formulieren und anschließend symbolisch eine Kerze am Christbaum anzünden, jeder bekam hierfür die Zeit der Welt. Der Christbaum erstrahlte und draußen brach die Nacht herein. Ruth Alice von Bismarck verstand zu feiern. Der Shalom Kreis trifft sich heute noch in veränderter Form bei Gudrun Diestel. Engagement für Asylanten und Migranten Anna Gourari, Pianistin, kam mit ihrer Familie aus Kasachstan nach München. Sie konnte in der Wohnung von Ruth-Alice von Bismarck üben. Ihr Humor Eine Episode (kurze Zeit vor dem Umzug, Klaus von Bismarck war gerade in Hamburg zu Besuch gewesen): Mit ihrem typischen Lachen...

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Zeitzeugen: Die „Aktion Römer-Müll“ von Gertrud Scherer

Ruth Alice von Bismarck war eine praktisch denkende Frau mit offenem Blick für gerade Notwendiges und mit Vertrauen in verantwortliches Handeln ihrer Mitmenschen. Sie schätzte die gegenseitige Bereicherung in der Arbeit mit Gruppen, und da war ihr auch ein Arbeitsfeld wie Müll nicht zu banal. Denn die Stadt München, genauer gesagt das Abfallwirtschaftsamt, war in den ausgehenden 1980er Jahren sehr daran interessiert, dass sich Bürger(innen) am Abbau der ständig wachsenden Müllberge beteiligen, an Mülltrennung und Müllvermeidung. „Müll“-Bewusstsein entsteht allerdings nicht von allein, dazu braucht es Anschubkräfte. Frau von Bismarck griff dieses, damals sehr dringende Anliegen der Kommune auf, fand in ihrem „Ökumenischen Schalom-Kreis“ Gleichgesinnte aus der Schwabinger Römerstraße – in der sie selbst wohnte – und initiierte 1989 die „Aktion Römer-Müll“. Die „Nachbarschaftshilfe Schwabing“ des „Urbanen Wohnens“, vertreten von Ingrid Drum, beteiligte sich von Anfang an. Die zunächst sehr kleine Gruppe von Frauen startete das Projekt mit einer Vor-Information in die Briefkästen aller Anrainer der Römerstraße über den kommenden Start der „Aktion Römer-Müll“ mit den Stichworten: Müll trennen – wiederverwerten – verringern – vermeiden. Ruth Alice von Bismarck hatte eine gute Hand im Umgang mit den Leuten im Arbeitsteam und mit den Anwohnerinnen und Anwohnern der Römerstraße. Ihr ging es nicht um Information, die man schnell wieder vergisst, sondern um interessierte Beschäftigung mit den Themen, um Mitdenken, um Betroffenheit und eigene Verantwortung, um Kreativität und das gemeinsame Finden der besten Lösungen. Sie konnte Menschen in guter Weise anregen. Das zeigt sich an ihren Einladungen zu „Müll“-Versammlungen, an den „Römer-Blättchen“ und „Römer-Briefen“ mit Informationen. Inhaltlich ging es um „Müll“-Bewusstsein, zum Beispiel in Sachen Glas, Aluminium, Dosen, Papier, Plastik und Kompostierbares. Frau von Bismarck pflegte guten Kontakt zum Abfallwirtschaftsamt und lud von dort Fachleute zu den oft sehr gut besuchten „Müll“-Versammlungen ein. Dabei wurde bald der Biomüll zu einem Schwerpunktthema, denn die Stadt München plante 1989 in vier Versuchsgebieten die Biotonne einzuführen, unter anderem in der Römerstraße. Nun galt es für die „Aktion Römer-Müll“, unsere Bevölkerung sorgfältig zu informieren: Was darf und soll in die Biotonne, was nicht? Dazu gab es viele „Römer-Blättchen“ und reichlich Austausch in Diskussionsrunden, die ein Interesse an einer möglichst guten, sortenreinen Befüllung der Biotonne wecken konnten. Das Ergebnis: Wir schnitten im Vergleich mit den anderen Versuchsgebieten recht gut ab. Und wir durften unsere Werbung für die Biotonne auf ein größeres Stück Schwabing ausweiten. Zu den wiederkehrenden Aktivitäten der „Aktion Römer-Müll“ in Zusammenarbeit mit der Stadt gehörte die Betreuung der Christbaum-Sammelplätze am Pündterplatz. Ruth Alice von Bismarck wies in unseren Weihnachts-„Römer-Blättchen“ jedes Jahr mit einem neuen Gedicht auf dieses Angebot der Stadt hin. Und wir kümmerten uns darum, dass die Christbäume vollends abgeschmückt und die Plätze sauber waren. Mit besonderem Eifer beteiligte sich die „Aktion Römer-Müll“ am Volksbegehren für DAS BESSERE MÜLLKONZEPT. Frau von Bismarck bastelte dafür einen wunderschönen großen Drachen, der bei unseren Umzügen durch die Straßen Schwabings Aufsehen erregte und Passanten zur Teilnahme an dem Volksbegehren anregte. Für das Volksbegehren wurde viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, zumal es damals außer uns auch viele andere Müll-Initiativen gab. Und siehe da: Es wurden so viele Unterschriften gesammelt, dass es zu einem Volksentscheid kam, bei dem für Bayern DAS BESSERE MÜLLKONZEPT tatsächlich den Sieg davon trug. September 2018 Gertrud...

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Kunst: Lebensfreude und Ausdruckskraft

Klaus von Bismarck hatte das Glück, dass seine Mutter („Mumam“ Gertrud Koehn) und seine Großmutter („Gromi“ Anna Koehn) ausgeprägte Bezüge zur Musik, bildenden Kunst und Berliner Literaturszene hatten und diese somit früh Teil seiner Erlebniswelt wurden. Das konzertante Klavierspiel der Großmutter und eine lebendige Kammermusikkultur ließen in ihm den Wunsch entstehen, das Cello-Spiel zu erlernen, um selber Musik machen zu können. Seine Liebe zur Musik lebte er später jedoch eher als engagierter Förderer und durch sein Interesse an verschiedenen Musikrichtungen aus. Seine Mutter unterhielt vielfältige Kontakte zu Künstlerkreisen. Gerhard Marcks (1889-1981) zeichnete ein Porträt von ihr, das Klaus später in seinem Arbeitszimmer aufhängte. Er schätzte den Bildhauer Marcks sehr und blieb ihm persönlich verbunden. Schon früh füllte Klaus die freien Seiten seiner Schulbücher mit Skizzen von Tier-, Jagd- und Naturszenen sowie mit Bildern aus der griechischen Mythologie. Er versuchte besonders die Vitalität und Harmonie von Bewegung, welche genaue Kenntnisse der Anatomie voraussetzten, in seinen Skizzen festzuhalten. Später waren es seine Terminkalender und Notizbücher, die er mit solchen Motiven reich bebilderte. Von seinen vielen beruflichen Reisen brachte Klaus ausgewählte Objekte und Darstellungen mit, durch die er seine auch künstlerische Sicht auf die Dinge ausdrückte und die ihn in fordernden Lebensphasen „begleiteten“. So umgaben ihn in seinem Arbeitszimmer, „der Höhle“, poetisch-pittoreske Holzschnitzereien polnischer Volkskunst. Eher zufällig entdeckte Klaus während eines längeren Rehabilitationsaufenthalts in der Lauterbacher Mühle, die in der Nähe des Starnberger Sees liegt, in den 1980er Jahren seine Freude an der Gestaltung von Tonplastiken. Es waren zuerst geübte Motive seiner früheren Skizzen, die er dort unter Anleitung einer Künstlerin umsetzte. Doch schon bald entstanden komplexere Plastiken, zuweilen modellierte er ganze Szenen. Diese waren zwar nicht immer nicht bis ins letzte Detail realistisch ausgearbeitet, aber seine Objekte besaßen stets eine kreatürliche Sinnlichkeit und Bewegungsdynamik. Bald entstanden in schneller Folge neue Arbeiten. Auf Reisen musste ein Klumpen Ton, in feuchte Tücher gewickelt, mit in den Koffer. War kein Ton zur Hand, malte Klaus mit Wasserfarben auf einfachen Zeichenblöcken. Motive waren oft Szenen aus der Zeit seines Aufwachsens in Pommern: Räume, die Mutter an ihrem Arbeitstisch, vertraute Landschaften mit Wald, Wild und Pferden. Für seine Enkel entstand so ein Bilderbuch mit eigenen Texten und Aquarellen über seine Jugendzeit in Pommern zwischen den Weltkriegen. Die Hälfte des großen Familien-Esstisches in der Münchner Römerstraße nutzte Klaus des Öfteren als künstlerische Arbeitsfläche. Er arbeitete immer sehr konzentriert. Auch wenn er dabei Zuschauer hatte, ließ er sich nicht ablenken. Ein als Geschenk erhaltener Bildband über europäische Wildvögel, welcher detaillierte Darstellungen von Flugbewegungen enthielt, animierte Klaus, eine neue künstlerische Ausdrucksform zu versuchen: Aus bemalter Pappe, ausgeschnitten und dann kunstvoll dreidimensional zusammengesteckt, bastelte er Mobiles. Die Figuren, anfänglich vor allem geliebte Vogelarten wie Kraniche und Wildgänse, hing er an dünnen Drahtbügeln und Seidenfäden auf. Schnell wandelten sich jedoch die Motive, mitunter zu selbst erfundenen, witzigen, skurrilen Szenen. So entstand etwa ein Mobile mit fliegenden Klapperstörchen, die vor wütenden, mit Steinen nach ihnen werfenden Frauen flüchten und sich dabei endlos im Kreise drehen. Klaus genoss die Präsentation seiner neuen Werke, die, oft garniert mit einer guten Portion Schalk, viel von seiner Sicht auf das Leben und von seiner Lebensfreude ausdrücken. Spontan verschenkte er einzelne Werke an Bewunderer. Anlässlich von Jubiläen und oder Geburtstagen kam die erweiterte Familie in den Genuss seiner Kunstwerke. Dort trifft man heute immer noch auf sie, die in ihrer Ausdruckskraft und gleichzeitig humorvollen Leichtigkeit treffend an ihren Erschaffer erinnern. Vor allem in der letzten Lebenszeit nutzte er das künstlerische Arbeiten als Kommunikationsinstrument, da ihm die Sprache, mit der er sonst mit Worten plastische Bilder zu malen verstand, genommen worden war. Bei dieser Tätigkeit konnte er tief...

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Kniephofer Landleben

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Reisen nach Israel

Kein außereuropäisches Land hat Ruth-Alice von Bismarck so oft besucht wie Israel. Sowohl allein als auch im Familienverband reiste sie insgesamt sieben Mal nach Israel. Das sie wohl am stärksten bewegende Erlebnis war die Reise mit den Enkeln und Freunden 1990. Allen Reisen ging eine intensive Vorbereitung voraus, mehrfach dokumentierte und reflektierte Ruth-Alice von Bismarck die Erlebnisse während dieser Reisen. Ein erster Israel-Besuch fand offenbar bereits 1961 statt, ohne dass Aufzeichnungen oder Fotografien davon erhalten geblieben sind. Die nächste Reise nach Israel, 1978, unternahm Ruth-Alice allein, um an einer deutsch-jüdischen Bibelwoche (April/Mai) in Jerusalem teilzunehmen. Zur Eröffnung des Goethe-Instituts in Tel Aviv im Mai 1979 reiste das Ehepaar gemeinsam und besuchte bei dieser Gelegenheit auch Haifa und das Leo Baeck Center. Ihre Eindrücke von dieser Reise hielt Ruth-Alice in einem Reisetagebuch fest. Die vielen „Ebenen von Eindrücken und Erlebnissen“ (Ruth-Alice) bewogen beide im Jahr darauf mit Geschwistern und Freunden (insgesamt acht Personen) erneut nach Israel zu reisen: „Mein ganzes Engagement für Israel fing auch erst richtig in München an, erinnert sich Ruth-Alice. Die Anregungen kamen dabei von der Malerin Helga von Loewenich (aus dem Frauenkreis) und deren Mann, Pastor einer evangelischen Gemeinde in München. Sie stellten auch den Kontakt zwischen Ruth-Alice von Bismarck und einem jüdischen Neutestamentler her, dessen Ausspruch: „In keinem Volk der Erde war es für Jesus so schwierig zur Welt zu kommen, wie in Israel“ sie sehr beeindruckt hat. Die Reisen nach Israel wurden sorgfältig vorbereitet, denn eine reine „Touristenreise“ kam nicht infrage. Besondere Vorbereitung erhielt aber die Enkel-Reise nach Israel 1990. Die Reise sollte nicht in Unkenntnis der Geschichte und der aktuellen politischen Situation Israels stattfinden. In der Zeit, in der Ruth-Alice allein oder mit Familie Israel bereiste, war die politische Geschichte des Landes einerseits von einem beachtenswerten wirtschaftlichen Erfolg, andererseits aber auch von Kriegen geprägt. Seit dem 1. Nahostkrieg (1948/49), den Israel gewann und in dem Israel weitere Gebiete über die Teilungsgrenzen von 1947 hinaus eroberte, führte Israel mehrere Kriege (1956, 1967, 1973). Seit 1987 erschütterten wiederkehrende Aufstände der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten (1. Intifada 1987, 2. Intifada 2000) das Land. Was Ruth-Alice schon über ihre Südamerikareise bemerkte, kann auch für die Israelreisen gelten: Es ging nicht um „Abenteuer, die nur Geltung, Ansehen und Interesse verschaffen ‒ weder fahre ich als ein Mensch, der seine Kultur ausbreiten dafür Reichtümer heimbringen will, noch als einer, der Heil erhofft, sondern ich fahre als Ruth Alice in einer komplizierten Welt, die sie nicht mehr überblicken kann. Das Fremde ‒ weil das ‒ Heimatliche langweilig geworden ist? Sondern ich fahre aus unlösbaren Fragen und unüberblickbaren Situationen in andere genauso unlösbare ‒ und ich hoffe mir Hilfe.“   Aussagen von Ruth-Alice von Bismarck aus einem Interview, das Dr. Josef Schmid mit ihr am 16. und 23. Februar 2006 geführt hat. Redaktionelle Bearbeitung Christine Schatz Weiterführende Dokumente: 2 Seiten aus dem Reisetagebuch von 1979 von Ruth-Alice von Bismarck; Einladungsbrief vom 2.7.1979 zur Israel-Reise 1980; Reisetagebuch 1980; Unterkunft in Jerusalem im Lutheran Hostel; Flyer des Leo Baeck Center und Karte von Haifa und Umgebung aus dem Archiv, Chronologie der Aufstände im israelisch-palästinensischen...

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Ruth-Alice von Bismarck und Minna Issler ‒ Freundschaft und Versöhnungstat

Auf der ersten Bibelwoche, 1977, an der Ruth-Alice teilnahm, lernte sie die Wiener Jüdin Minna Issler und deren Ehemann kennen. Aus dieser ersten Begegnung, die für Ruth-Alice eine Art Schicksalsbegegnung war, entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. In einem langen Interview am 17. November 2005 schilderte Ruth-Alice Aspekte dieser Freundschaft …   Minna Issler, geboren in Wien, ging mit der zionistischen Jugendbewegung nach Palästina und lebte dann in Tel Aviv. Sie war im Erwachsenenalter erblindet und ihr Mann war „ihr Augenlicht“. Nach dem Tod des Ehemanns übernahm Ruth-Alice dessen Aufgabe „Augenlicht“ zu sein, wenn sie Minna Issler bei deren Besuchen zu den christlich-jüdischen Bibelwochen oder während des Sommerurlaubs in Deutschland betreute. Das nicht einfache Zusammensein sah Ruth-Alice als Versöhnungsaufgabe: „Die Versöhnung bestand also darin, dass ich … alles mit ihr durchhielt.“ Ruth-Alice erinnert sich: „Sie kam mit dem Flugzeug an, indem sie gut betreut wurde. Minna war ein sehr selbstständiger Mensch. Und diese Selbstständigkeit erforderte immer ganz ungeheuerliche Bocksprünge von den Menschen, die sich für sie einsetzten. Es war immer die Quadratur des Zirkels, was es alles zu vereinigen gab. Sie durfte nicht unter 500 aber auch nicht über 600 Meter, es mussten immer ebene Spaziergänge sein, es musste ein Haus sein, was billig war, wo sie aber Diät bekommen konnte. Alle diese Dinge mussten zusammen kommen und kamen aber nie ganz zusammen. Es blieb immer noch Raum für Katastrophen, die bei jedem ungefähr vierwöchigen Aufenthalt Katastrophen passierten. Diese Katastrophen von rückwärts her betrachtet waren einfach auch eine Beteiligung an einem Friedensprozess zwischen Israel und Deutschland.“ … „Wir wurden mit der Verzweiflung konfrontiert, die in einem jüdischen Menschen, in einem neuen israelischen Bürger, anwesend war. Diese Verzweiflung konnte nur überwunden werden, wenn sie auch heraus kam. Die Verzweiflung bestand nicht nur darin, dass der Ort plötzlich eine Mückenplage hatte oder die Hauswirtin einer entsetzlichen Sekte angehörte, die Ausschwitz leugnete. Es passierte immer etwas Entsetzliches, aber gleichzeitig passierte auch immer wieder etwas neues Gutes.“ … „Ich konnte immer nur acht Tage bei Minna sein, sie wollte eigentlich, dass ich die ganze Zeit über bei ihr bleibe, aber ich hatte ja auch noch ein anderes Leben. Also musste ich Leute finden, die sich bereit erklärten neben einer blinden Frau die höchst selbstbewusst und höchst selbstständig war, eine Woche auszuharren. In der Mitte gab es immer eine Bibelfreizeit von einem Wochenende, wo es dann auch wirklich um das Gespräch zwischen Juden und Christen ging. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, dass Minna Issler ein unglaublich großes Gefühl für wichtige Menschen hatte, die sie dann auch anzog. Immer waren irgendwelche Menschen bereit, das Letzte für Minna zu geben. Aber es begegneten uns auch Menschen, die geradezu fürchterlich waren.“ … „Aber eine ganz große Sache war ein Stück echter Versöhnung zwischen uns. Es wuchs einfach das Vertrauen und es wuchs auch die Gruppe von Menschen, die sie umgaben. Zum Schluss ‒ ich glaube, diese Treffen fanden sieben Jahre lang statt ‒ fanden wir wirklich gute Teilnehmer an der Bibelfreizeit. Langsam, langsam, langsam wuchsen wir zusammen. Eine große Rolle hat auch Thomas gespielt, der kam, um mich zu unterstützten und auch ein bisschen Urlaub in den Bergen dabei zu verbringen. Thomas hatte einen herrlichen Humor. Morgens, wenn Minna schlechtester Laune am Frühstückstisch saß, sagte ich: „Minna, das Morgengebet!“ Minna sagte: „Ich danke Dir Gott, Schöpfer der Welt, dass Du mir meine Seele zurückgegeben hast!“ Das sagte sie anschließend noch einmal auf Hebräisch. Wenn dann aber ihre Laune nicht besser wurde, kam Thomas und sagte zu Minna: „Was wünschen Majestät heute Morgen?“ Da Minna Isslers Kräfte zusehends abnahmen und sie die Reisen nicht mehr bewältigen konnte, ging man...

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Auswahlbibliografie

Auswahlbibliographie Anfänge. Evangelisches Studienwerk in den Jahren 1948-1967, o.O. o.J. [1987]. Albrecht, Dietmar: Pommern wie Pomorze. Neun Kapitel Pommerland. Orte, Texte, Zeichen, München 2011, bes. Kapitel Stettin, S. 111-154. Argüello, José: Befreiungspraxis und Erlösung im Verständnis der Lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, Diss. Universität Tübingen, 1980. Aust, Stefan; Burgdorff, Stephan (Hrsg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, München 2005. Ben-Chorin, Schalom: Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München 1967. Berneuchener Konferenz (Hrsg.): Das Berneuchener Buch. Vom Anspruch des Evangeliums auf die Kirchen der Reformation, Hamburg 1926. Neuausgabe: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1978. Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer, Reinbek bei Hamburg 1976. Bismarck, Ruth Alice von; Kabitz, Ulrich (Hrsg.): Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer Maria von Wedemeyer 1943-1945, München 1993. – Erinnerungen an die Familie, in: Wedemeyer, Ruth von: In des Teufels Gasthaus. Eine preußische Familie 1918-1945, herausgegeben von Peter von Wedemeyer und Peter Zimmerling, Moers 1993, S. 211-216. Bonhoeffer, Dietrich: Sanctorum Communio. (Dissertation), Berlin 1927. ‒ Akt und Sein. Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie. (Habilitationsschrift), Gütersloh 1931. ‒ Die Kirche vor der Judenfrage. 1933. (https://shelx.uni-ac.gwdg.de/~rherbst/eirmer/html/Re12EA_aus/NS/Bonhoeffer_Kirche_Judenfrage.pdf) ‒ Schöpfung und Fall. Theologische Auslegung von Genesis 1-3, Vorlesung, München 1933. ‒ Nachfolge, München 1937. ‒ Gemeinsames Leben (= Theologische Existenz heute, Heft 61), München 1939. ‒ The first table of the ten commandments, o.O. 1944. ‒ Schöpfung und Fall. Versuchung, München 1968 [es handelt sich vermutlich um einen unbearbeiteten Nachdruck]. ‒ Ethik, hrsg. von Eberhard Bethge, Stuttgart [1949]. ‒ Christologie. Mit einem Nachwort von Eberhard Bethge, München 1981. ‒ Schweizer Korrespondenz 1941/42. Im Gespräch mit Karl Barth, hrsg. und kommentiert von Eberhard Bethge, München 1982. ‒ Predigten, Auslegungen, Meditationen, hrsg. von Otto Dudzus, München 1984-1985. ‒ Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel, herausgegeben von Gerhard Ludwig      Müller u. Albrecht Schönherr, München 1987. [Band 5 der Reihe Dietrich Bonhoeffer             Werke] Bonhoeffer in Finkenwalde. Briefe, Predigten, Texte aus dem Kirchenkampf gegen das NS-Regime 1935-42. Studienausgabe mit Hintergrunddokumenten und Erläuterungen, hrsg. von Karl Martin unter Mitarbeit von L. Maximilian Rathke, Wiesbaden/Berlin 2012. Bonin, Konrad von (Hrsg.): Deutscher Evangelischer Kirchentag Düsseldorf 1985. Dokumente, Stuttgart 1985. Buchholz, Werner (Hrsg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Pommern, Berlin 1999. Darin v.a. Inadin, Kyra: Die Entwicklung Pommerns im Deutschen Reich, S. 447-508 sowie Lucht, Dietman: Der Weg in die Katastrophe, S. 509-522. Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.): Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsgefangene, Bonn 1959. Ciupke, Paul; Jelich, Franz-Josef (Hrsg.): Ein neuer Anfang. Politische Jugend- und Erwachsenenbildung in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Essen 1999. Cortés, Hernań: Die Eroberung Mexikos. Eigenhändige Berichte an Kaiser Karl V. 1520-1524, neu herausgegeben und bearbeitet von Hermann Homann, Tübingen-Basel 1975. Cramer von Clausbruch, Adelheid: Agent in der Abwehr. Überlegungen zur Bedeutung der Hinrichtung von Dietrich Bonhoeffer heute, Hamburg 2006. Doerr, Werburg: Flieg, Maikäfer, flieg. Eine Kindheit jenseits der Oder, Hamburg 2003. Endres, Gerald: Gutsherren- und Pferdeland, Kartoffelacker und Reichsluftschutzkeller, in: Als der Osten noch Heimat war. Was vor der Vertreibung geschah: Pommern, Schlesien, Westpreußen, Reinbek bei Hamburg 2011, S. 195-268. Engelberg, Ernst: Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas, Berlin 1990. Gassert, Philipp (Hrsg.): Zweiter Kalter Krieg und die Friedensbewegung. Der NATO-Doppelbeschluss in der deutsch-deutschen und internationalen Perspektive, Oldenburg 2011. Goedeking, Ulrich; Eleonore von Oertzen: Peru. 3. völlig neubearb. Aufl., München 2004. Greschat, Martin: „Mehr Wahrheit in der Politik!“. Das Tübinger Memorandum von 1961, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 48. Jahrgang, Heft 3, Juli 2000, Seite 491-513. – Vom Tübinger Memorandum (1961) zur Ratifizierung der Ostverträge (1972). Protestantische Beiträge zur Aussöhnung mit Polen, in: Friedhelm Boll; Wieslaw Wysocki; Klaus Ziemer (Hrsg.): Versöhnung und Politik. Polnisch-deutsche Versöhnungsinitiativen der 1960er-Jahre und die Entspannungspolitik, Bonn 2009 (Archiv für Sozialgeschichte  Beiheft 27). Grimme, Gertrud: Von der Vikarin zur Oberkirchenrätin...

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Interreligiöser Dialog ‒ Die christlich-jüdischen Bibelwochen

Nach dem Ende des Nationalsozialismus und seiner Vernichtungspolitik sahen viele Menschen insbesondere im christlich-jüdische Dialog eine Forderung und Aufgabe der Zeit. Zu ihnen gehörte auch Ruth-Alice von Bismarck. Ihr Engagement begann nach Danes Tod 1977. An ihre erste christlich-jüdische Bibelwoche, ein „Schlüsselerlebnis“ erinnert sie sich: „Ich war also nach Danes Tod allein im Haus. Mein Mann war schon in München im Hotel. Er hatte auch das Gefühl: „Ich habe es hier so herrlich in München – das ist ein tolles Leben! Meine Frau kann ruhig in Köln bleiben …“.  Zusammen mit ihrem Sohn Thomas und der Vikarin der Kölner Gemeinde reiste sie kurz entschlossen nach Bendorf, obwohl die Veranstaltung bereits ausgebucht war. … „Danes Tod hatte mich sehr bewegt und sehr beschäftigt – und nun war plötzlich so eine Stille im Haus. Ich sagte zu mir selbst: ‚Ganz allein, wie ist das möglich? Jetzt frage ich mal, ob gerade die christlich-jüdische Bibelwoche ist …‘. Und sie fand tatsächlich statt. … Wir fanden ein Notquartier auf einem Bauernhof und gingen zur jüdisch-christlichen Bibelwoche. Es waren etwa 100 Menschen da aus Israel, England und Deutschland. Die Frau, die die Bibelwoche leitete, Anneliese Debray [1911‒1985] – eine starke Persönlichkeit – hatte durch das von Papst Johannes XXIII. einberufene Konzil und der Barriere, die dabei zum jüdischen Volk fiel, die Idee gehabt, in Bendorf bei Koblenz, einer [Bildungsstätte der] katholischen Akademie [Trier], eine solche Bibelwoche zu veranstalten.“ Das Hedwig-Dransfeld-Haus im rheinland-pfälzischen Bendorf war seit der Gründung in den 1960er Jahren Begegnungsort für interreligiösen Dialog und Versöhnung [heute: Bendorfer Forum für ökumenische Begegnung und interreligiösen Dialog]. Neue Impulse für die christlich-jüdische Versöhnung kamen von Papst Johannes XXIII. und vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962‒1965). Der interreligiöse Dialog oder Dialog der Religionen auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, Gleichberechtigung und Friedensbestrebungen begann allerdings nicht erst in den 1960er Jahren. „Die Bibelwoche lief bereits, als ich ankam. Sie hatten beim 1. Buch der Bibel angefangen und waren inzwischen durch Mose durch und nun bei Josua. Ich kam rein und erlebte, wie eine große Gruppe vor mir – es war ein großer Saal mit 100 Teilnehmern – in deutscher und englischer Sprache miteinander handelte. Es war eine Mischung von jungen und alten Leuten, aufgeteilt in Arbeitsgruppen. Jede Gruppe hatte einen jüdischen und einen christlichen Leiter, und wir mussten uns nun entscheiden, in welche Gruppe wir gehen wollten. Wir hatten ja überhaupt keine Anhaltspunkte. Vor mir saß eine Frau namens Professor Henry, früher aus der DDR kommend und nun ganz stark beschäftigt mit der jüdischen Bibel. Und ich erlebte, wie ein jüdischer Mann herein kam, auf diese Frau zu ging und sie begrüßte. Er war ein kleiner Mann, sie eine großgewachsene Professorin. Sie begegneten sich vor meinen Augen zum ersten Mal, waren vorher aber schon in schriftlichem Kontakt miteinander gewesen und nun glückselig, sich zu finden. Damit war der Entschluss gefallen: Wir gingen in diese jüdische Gruppe. …. Dort erlebte ich diese ungeheuerliche Sorgfalt der Juden mit ihrer Bibel. Zunächst wurde auf Hebräisch gelesen. Mich beeindruckte diese Leidenschaft, jedes Wort zu ergründen. Die hebräische Sprache hat ja keine Vokale, die Vokale sind nur durch Punkte dargestellt – und diese Punkte fehlten. Das heißt, jedes Wort hatte die Möglichkeit verschiedener Bedeutungen. Und da saßen die Menschen nun mit einer Leidenschaft und versuchten herauszufinden, was wohl diese Worte bedeuten. In unserem Kreis, der von Juden und Christen gemischt war, saß ein Paar, ein auffallendes Paar. Eine blinde Frau [Minna Issler] mit einem Mann; alle beide klein, alle beide einander sehr zugeneigt, fast so, als wären sie ein Mensch! Er war für sie die Augen, da sie ja blind war. Aber beide...

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